Hercules Electra - Die Ur-Mutter aller E-Bikes
SCHONT DIE UMWELT UND DIE KRÄFTE
1990 - MIT ENTWICKLUNGEN ZUM ERFOLG
Das Hercules Electra war das erste in Deutschland als Leichtmofa zugelassene Fahrzeug. Über zehn Jahre mit leichten Variationen gebaut und rund 19.000 mal verkauft. Es erfreute sich großer Beliebtheit - viele dieser Fahrzeuge fahren heute noch!
Die Firma Hercules hat 1985 das erste E-Bike auf den Markt gebracht und gilt seitdem als Erfinder des E-Bikes.
1989: "Lex Hercules" und Saxonette
Im Jahr 1989 erprobte Hercules eine Vorserie des Modells Electra. Für diese, sowie dessen verbrennungsmotorische Schwester Saxonette, setzte das Unternehmen in Deutschland die Leichtmofa-Verordnung, auch Lex Hercules genannt, durch. Sie erlaubte ein Benutzen dieser Fahrzeuge bei einer rein motorischen Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h ohne Helm, erforderte aber ein Versicherungskennzeichen. Die Verordnung war vorerst drei Jahre in der Probezeit. Da jedoch das befürchtete Unfallchaos nicht eintrat, erhob man sie 1991 zum Gesetz.
Die Verkaufszahlen waren anfangs durchaus beachtlich, doch kamen dann relativ schnell ins Stocken. Es gelang nicht, eine eigenständige Fahrzeugkategorie zu schaffen, die auch auf Dauer Akzeptanz fand.
Zeitraum | 1990-2001 ? |
Stückzahl | über 19.000 |
Motor | zuschaltbarer Gleichstrommotor |
Leistung max | 0,36kW |
Batterie | NiCd-System von Sanyo |
Gewicht | 4,6kg |
Nennspannung | 24V |
Kapazität | 7Ah |
Imax | 30A |
Reichweite | ca. 25km in reinem Motorbetrieb |
Ladezeit | ca. 4,5 Std. |
Ladezyklen | ca. 1000 mit voller Batterieleistung möglich |
Rahmen | bequemer Komfortrahmen mit tiefem, breitem Durchstieg |
Pedalantrieb | über Torpedo 3-Gang-Nabe von SACHS |
Laufräder | Alu-Felgen 26„ |
Bereifung | Top-Touring von Continental |
Bremse | SACHS Trommelbremse vorne, 3-Gang-Rücktrittbremse |
Beleuchtung | Halogenscheinwerfer mit Standlichteinrichtung |
Anzeigen | Batteriezustand, Geschwindigkeit, Tages- u. Gesamtkilometer |
Gewicht | ca. 30kg |
Ein Bericht der Zeitung "Die Zeit" von 1991
Angeblich soll, wer sich auf den Sattel der Hercules Electra schwingt, so eine Art Radfahrer des kommenden Jahrtausends werden.
Die ersten Tester und Testerinnen des Gefährts berichteten ruhigen Atems, sie würden selbst einen entschlossenen Mountain-Bike-Fahrer an Steigungen hinter sich lassen („Grinsend schaue ich in den Rückspiegel und fange seinen verständnislos-frustrierten Blick auf“).
Halten wir also einmal fest, dass das Wunderding ein neues Fahrrad mit angeflanschtem elektrischem Antrieb ist – „das erste Serien-Elektrofahrrad“, was man glauben kann oder nicht (das Automobil wurde bekanntlich auch von mindestens fünfzehn Leuten gleichzeitig erfunden). Wer würde solch ein Gerät nicht ausprobieren wollen, kaum dass es auf dem Markt ist? Eben. So kam sie ins Haus, die Electra von den Nürnberger Hercules-Werken.
In der Betriebsanleitung steht: „Das motorisierte Zweirad ist ein faszinierendes Fahrzeug. Es vermittelt ein Gefühl der Freiheit und Stärke. Nur gesund, ausgeschlafen und absolut fit sind wir in der Lage, unser Fahrzeug zu beherrschen.“ Ja, die große Freiheit des Fahrens auf zwei Rädern! Leider handelt es sich hierbei um klassische Industriepoesie. Kokolores also.
Die Electra ist gemäß der Leichtmofaverordnung ein Leichtmofa und als solches auf eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h beschränkt. Katapultstarts ade. „Zuerst mit Pedalkraft anfahren“, rät die Betriebsanleitung, „Drehgriff langsam öffnen und mit Motorkraft weiterfahren.“ Summend werden wir die Welt erobern.
Wir haben eine Nummerntafel, der Leichtmofaverordnung wegen. Zwar brauchen wir keinen Helm und einen Führerschein nur dann, wenn wir nach dem 1. April 1965 auf diese Abgashölle von Welt gekommen sind. Wie man jedoch leicht zugeben wird, bleibt da nicht viel von dem wildwüchsigen Anarchismus, der den klassischen Radfahrer heute ins Verkehrsgeschehen treibt. Sie ist ja auch elegant, die neue Electra. Der Rahmen mit niederem Durchstieg („Damenrad“ sagte man früher), die flotte Zweifarbenlackierung (ohne die der moderne Fahrradbau Angst hätte, unmodern zu sein), die süße Mini-Pumpe am Gepäckträger, die Dreigang-Nabenschaltung, im Körbchen über dem Vorderrad das formidable NiCd-Akkupack, das den permanent erregten Gleichstrommotor (24 V, 0,18 kW Dauerleistung) links am Hinterrad speist. Die eigens entwickelte Anfahrelektronik sorgt dafür, daß das Rad nicht wie eine Elektroziege vorwärts springt, wenn man den Gasgriff – also: diese Art Gasgriff am Lenker rechts – aufdreht.
Wofür nun das Rad nichts kann, ist die Geschwindigkeitsbeschränkung. Dass 20 km/h nicht viel sind, vor allem nicht im Verkehr, zeigen schon die ersten Meter. Darüber bremst der Motor gewissermaßen, statt anzutreiben; er kann und darf ja nicht schneller, und nun muss die Kraft dieser unserer Beine, die eigentlich geschont werden wollte, eingesetzt sein, um den Motor über seine Beschränkung hinauszutreten. Erregtes Surren von links unten. Also, sagt die Vernunft, mache bei 20 km/h den Drehgriff zu, stelle den Motor ab, radle selbst. Aber wozu dann ein Elektrofahrrad?
Die Suche nach der richtigen Betriebsart wird um so lästiger, je rascher das Terrain zwischen leicht bergauf und leicht bergab wechselt. Es ist ein Zwitterdasein: nicht selber zu fahren und doch nicht ordentlich gefahren zu werden. Ganz ohne Zweifel hilft der Strom nur beim Anfahren und auf Steigungen (ohne Mittreten ist allerdings kein Gipfel zu erklimmen).
Die Stabilität des Gefährts hat auch zwei Seiten. Seine dreißig Kilogramm Lebendgewicht (fünf davon gehen aufs Konto der Akkus) und die soliden Reifen machen das ärgste Kopfsteinpflaster zum Flokati. Falls die Electra aber abends immer in den Keller muss (je high-techer das Gerät, um so größer die Angst vor Dieben), dann sinkt die Begeisterung proportional mit der Anzahl der Stufen.
Vorbei also wirklich der romantische Radfahr-Anarchismus. Und bloß nicht vergessen, über Nacht die Akkufamilie aufzupäppeln! Sie lädt sich ja nicht durch vermehrtes Treten, sondern nur über die Steckdose: Einmal fünf Stunden guter Atomstrom, und schon trägt einen die Elektrokraft allein wieder 25 Kilometer weit. Laut Hersteller macht das zwanzig Pfennig Betriebskosten für 100 Kilometer. Das ist, verkündet das Testprotokoll, auch realistisch und obendrein nur eine Kleinigkeit, verglichen mit der Leichtmofa-Haftpflichtversicherung – um die 80 Mark im Jahr – und den 1998 Mark, die die Electra fabrikneu im Laden kostet, plus 249 Mark für das unverzichtbare Ladegerät.
Viele Menschen aber denken sich mit Recht, dass das auch nicht viel teurer ist als eins von diesen schicken Mountain Bikes. Hercules jedenfalls berichtet bereits von vorübergehenden Lieferengpässen; 20 000 verkaufte Electras könnten es werden in diesem Jahr.
Diese Menschen freuen sich – denn endlich hilft einmal etwas ohne Vierventilmotor und Parkplatzhunger dabei, drei Kisten Bier oder das Kind im Plastiksitz nach Hause zu bringen. An diesem Punkt jedoch mischt sich neuerlich die Betriebsanleitung ein: „Wir empfehlen: keine Anhänger anzukuppeln, keine Mitnahme von Kindern.“